2011 04 – „Wenn die AKN zur Bühne wird“

Quelle: Norderstedter Zeitung (Michael Schick) vom 01.04.2011

In unserer neuen Schulserie stellen die Tangstedter Zwillinge Sahra und Doris Köhler die Norderstedter Willy-Brandt-Schule vor. Begeistert sind die beiden 17-Jährigen vor allem von den Lehrern – denn die haben Humor!

Sie sind zwar Zwillinge, aber durchaus nicht immer einer Meinung. In diesem Fall aber kommt das Lob wie aus einem Munde. „Wir fühlen uns wohl hier und wollten noch nie die Schule wechseln, obwohl wir das nach der zehnten Klasse problemlos gekonnt hätten“, sagen Sahra und Doris Köhler, 17, über die Willy-Brandt-Schule. Die beiden lernen seit der fünften Klasse an der Norderstedter Gemeinschaftsschule, die bis zur Schulreform Integrierte Gesamtschule Lütjenmoor hieß.

Ihre Eindrücke haben sie zunächst getrennt gesammelt. Nach der Grundschule brachte die Mutter ihre Töchter in unterschiedlichen fünften Klassen unter. Und dafür gab es einen guten Grund: „Doris ist eine Minute älter als ich und hat das Recht der Älteren schamlos ausgenutzt. Ich musste die Hausaufgaben machen, und sie hat sie einfach abgeschrieben“, sagt die Jüngere, die mit ihrer Schwester jeden Morgen vom Tangstedter Ortsteil Wilstedt zum Unterricht nach Norderstedt fährt.

„Die Lehrer sind netter als an anderen Schulen, und das wirkt sich auf die gesamte Atmosphäre in der Schule aus“, sagt Doris. Sie selbst hat zwar keinen direkten Vergleich, stützt ihre Erkenntnisse aber auf Aussagen von Schülern, die von anderen Schulen in die Oberstufe der Willy-Brandt-Schule gewechselt sind. Die Englisch-Lehrerin zum Beispiel habe Sinn für Humor, und zwar nicht nur für schwarzen britischen, sondern auch für die Späße ihrer Norderstedter Schüler. „Sie geht auf uns ein und macht auch mal das, worauf wir Lust haben“, sagt Sahra. Der Umgangston sei locker, das motiviere, und gerade deswegen bleibe der Lernerfolg nicht auf der Strecke.

DIENST NACH VORSCHRIFT IST AN DER GEMEINSCHAFTSSCHULE DIE AUSNAHME

Und die Pädagogen sind engagiert, Dienst nach Vorschrift gehört zu den Ausnahmen an der Norderstedter Gemeinschaftsschule. „Sie helfen uns, wo sie können“, sagt der ältere Zwilling. So wie der Physiklehrer, der sogar seine Freistunde geopfert habe, um die Mathelücken des Tangstedter Doppels zu schließen. Und da kommt dann die Mathelehrerin ins Spiel, mit der sich die Schwestern nicht so gut verstanden haben. „Wie überall gibt es natürlich auch die, mit denen man als Schüler so seine Probleme hat“, sagt Sahra, die „ihrer“ Schule treu geblieben ist, obwohl sie gern Sport ins Abitur eingebracht hätte, was an der Willy-Brandt-Schule nicht möglich ist. Sie hat sich fürs naturwissenschaftliche Profil entschieden und lernt nun wieder fröhlich vereint mit der großen Schwester.

Schülersprecherin Tessa Horstmann bestätigt den guten Ruf der Pädagogen: „Sie gehen im Unterricht auf jeden ein“, sagt die 17-Jährige, die vom Gymnasium kam und Lernen ganz anders erlebt hat. „Wenn ich da zwei Wochen krank gewesen und Chemie verpasst hätte, hätte mir der Fachlehrer einen Zettel in die Hand gedrückt und gesagt: Sieh zu, wie du das aufholst.“

BEI KONFLIKTEN GIBT ES EINE KONTROLLIERTE PRÜGELEI MIT DEN „BATAKAS“

Weiter punktet die Willy-Brandt-Schule mit dem reichhaltigen Angebot an Plätzen, an denen die Schüler Ruhe genießen, aber auch aktiv werden können. Schon auf dem Weg in die Spiel- und Rückzugszone müssen Doris und Sahra einer Gruppe von Jungen ausweichen, die in der Freistunde Tischtennis spielen. Wer den Raum betritt, sieht eine Kissenlandschaft vor dem Fenster. Hier können die Schüler lesen, dösen, abschalten. Rechts vor der Wand stehen drei Kicker. „Das machen wir unheimlich gern“, sagen die Tangstedter Zwillinge, die sich als leidenschaftliche Spieler bezeichnen und in den Schränken eine große Auswahl an Gesellschaftsspielen vorfinde.

In den grauen, abschließbaren Schränken liegen auch die „Batakas“, gut behütetet von den beiden Sozialpädagoginnen, die eingreifen, wenn es Streit zwischen Schülern gibt oder andere außerunterrichtliche Schwierigkeiten auftreten. Die „Batakas“, Schaumstoffrollen, die am Ende mit einem Griff versehen sind, sind die Geheimwaffe der Schule im Kampf gegen Aggressivität. Gibt es handfeste Konflikte zwischen zwei Schülern, müssen sie zum Duell mit der weichen Keule antreten. Anders als im Echtfall gibt es klare Regeln. Die Position ist vorgegeben, rechter vorderer Fuß an linkem Vorderfuß des Gegenüber. Erlaubt sind nur Schläge auf die Hüfte.

SOZIALPÄDAGOGINNEN HELFEN, PROBLEME IN DEN KLASSEN ZU LÖSEN

Die kontrollierte Prügelei endet nach fünf Minuten, ebenfalls mit einem Ritual: „Es gibt mehrere Friedensgesten. Je nachdem, wie weit die Kontrahenten Dampf ablassen konnten und bereit sind, sich zu vertragen, reichen sie sich den kleinen Finger oder umarmen sich“, sagt Doris, die in ihrer ersten Zeit an der weiterführenden Schule selbst Mobbing-Opfer war und an einem entsprechenden Training teilgenommen hat – ohne „Batakas“, dafür aber mit intensiver Betreuung. „Sehr positiv ist, dass die Sozialpädagoginnen mit in die Klassen gehen und gemeinsam mit den Lehrern versuchen, die Probleme zu lösen“, sagt die Elternbeiratsvorsitzende Freia Bandick.

STILL-, PARTNER- UND GRUPPENARBEIT BESTIMMEN DAS LERNEN

Auch sie ist vom pädagogischen Konzept überzeugt: „Stärken, stärken und nochmals stärken, lautet hier das Motto. Die Lehrer bemühen sich wirklich intensiv, jeden mitzunehmen“, sagt die Elternsprecherin. In der Praxis bedeutet das, so Schulleiter Bernd Rabe, einen stark differenzierten Unterricht, Still-, Partner- und Gruppenarbeit bestimmen das Lernen. „Und die Gruppen werden so zusammengesetzt, dass die leistungsfähigeren den schwächeren Schülern helfen“, sagt die Schülersprecherin.

Als weiteren Pluspunkt nennt Freia Bandick die Wahlfreiheit nach der sechsten Klasse. Die Schüler können sich nicht nur zwischen Französisch und Latein als weiterem Hauptfach entscheiden, sondern auch Technik, Wirtschaft oder Gestalten wählen. „Das gibt auch denen die Chance auf gute Noten, die sprachlich nicht so begabt sind“, sagt die Elternbeiratsvorsitzende.

Fast immer reicht den Tangstedter Zwillingen der Inhalt der Brotdose gegen den Hunger. Verlangt der Magen nach mehr, gehen die beiden mittags schon mal in die Mensa und stärken sich mit einem gesunden „Willy-Brandt-Schul-Burger“ – einem Brötchen, das nur mit Salat belegt und mit Sour Cream bestrichen ist. Mehr Auswahl bietet das Herold-Center, das die Schüler in wenigen Minuten erreichen.

„Mir gefällt außerdem die ungewöhnliche und großzügige Innenarchitektur der Schule“, sagt Sahra, die selbst Spaß an kreativem Arbeiten hat und sich vorstellen kann, auch später in diesem Bereich ihr Geld zu verdienen. Das Innenleben der Gemeinschaftsschule wirke übersichtlich, man könne Mitschülern im Erdgeschoss vom ersten Stock aus problemlos etwas zurufen. Die Luft sei gut. Die Wände schmücken Bilder der Kunstkurse, die regelmäßig ausgetauscht werden. „Und auch die Klassenzimmer werden jedes Mal neu gestaltet, wenn eine neue Klasse einzieht“, sagt Doris. In einer Gemeinschaftsaktion greifen Eltern, Schüler und Lehrer zum Pinsel und verpassen den Wänden einen Anstrich nach Wunsch.

„Uns ist es wichtig, hier jeden mitzunehmen, zu fördern und zu fordern“, sagt Schulleiter Bernd Rabe. Was sich gut anhöre, bedeute im Unterricht enorme pädagogische Herausforderungen. „Lesen Sie mal Storms ,Schimmelreiter‘ mit Schülern, die kaum den Text verstehen und solchen, die großartige Interpretationen liefern können“, sagt Rabe. Ihm liegt es am Herzen, dass sich die Schüler aufgehoben fühlen, selbstständig werden und sich nach ihren Möglichkeiten entwickeln können.