Quelle: Norderstedter Zeitung vom 27. Mai 2009
Christina ist sich nicht ganz sicher, ob sie das Geschriebene wirklich vortragen soll. Banknachbarin Julia hat bereits abgewinkt. Sie will nicht. „Was ich geschrieben habe, ist zu persönlich.“ Aber jetzt Christina: Sie ringt sich zu einer Entscheidung durch und beginnt, ihr Gedicht vorzulesen. Die Mitschüler applaudieren, machen ihr Mut. „Zehn Dinge, die ich am Tagesablauf hasse“, heißt ihr Thema. Schularbeiten zum Beispiel oder Wäsche aufhängen. Die Klassenkameraden klatschen. Niemand hat sie ausgelacht, alle haben andächtig zugehört.
Christina aus der Klasse 8c der IGS Lütjenmoor hat gerade ihr Poetry-Slam-Debüt erlebt: 45 Minuten hatte sie Zeit, um sich eine kleine Geschichte auszudenken und aufzuschreiben. Sie hat sich für ein Gedicht entschieden, das sie als Rap verstanden wissen will. Björn Högsdal ermuntert sie: „Das ist ein guter Ansatz.“ Er gibt ihr den Tipp, noch vielschichtiger zu schreiben und Gegensätze hineinzubringen – zum Beispiel, was sie am Tagesablauf liebt.
Der Gast aus Kiel ist Profi in Sachen Poetry Slam. Er hat viele Wettbewerbe gewonnen und richtet jetzt mit seiner Agentur in ganz Deutschland Veranstaltungen aus. Zusammen mit seinen Kollegen Beate Varlemann und Moritz Neumeier, ebenfalls Profis in Sachen Poetry Slam, veranstaltet er an der Gesamtschule Lütjenmoor einen Workshop, um die Schüler für einen schulinternen Poetry Slam fit zu machen. Für Lehrer Stefan Gimm ist das eine lebendige Vermittlungsform von Literatur. Nicht nur Stefan Zweigs „Schachnovelle“ steht im achten Jahrgang auf dem Programm, sondern auch dieser völlig neue Umgang mit Geschichten. „Für die meisten ist es der erste Kontakt mit Wörtern und Geschichten, die nicht auf eine Klassenarbeit ausgelegt sind“, sagt Björn Högsdal, der schon häufiger Workshops an Schulen veranstaltet hat. Mit Workshops außerhalb der schulischen Struktur hat er gute Erfahrungen gemacht. „Die Schüler werden offen gegenüber der Sprache und finden so oft einen Zugang zur Literatur.“ Er kann die Schüler packen, sie begeistern und motivieren. Und dabei entdeckt er bisweilen auch Talente.
Im Klassenzimmer macht er den Schülern Mut. Zehn Prozent sei Talent, das meiste aber pures Handwerk. Und: „Rechtschreibfehler bekommt kein Schwein mit.“ Er berichtet vor der Klasse 8c, dass er als Schüler auch mal klein und unbedarft angefangen und zunächst „grottenschlechte“ Texte abgeliefert hat. Aber er sei dran geblieben und habe seinen Stil entwickelt. Überhaupt das Schreiben ohne schulischen Zwang: „Das kann eine Therapie sein“, sagt Björn Högsdal den Schülern. Nach 45 Minuten liefern die Schülern erstaunliche Geschichten ab. Lucas liest seine Story von der Zeit vor, die immer weiter fließt, auch wenn man selbst nicht dabei ist. Björn Högsdal findet diesen Beitrag „sehr literarisch“ und empfiehlt dem jungen Autor unbedingt am Ball zu bleiben und weiter zu schreiben. Er gibt auch allgemeine Tipps: Die Schüler sollen sich beim Schreiben keinesfalls verbiegen lassen und sich vor allem nicht von den Lehrern hineinreden zu lassen.
Der Slam-Profi geht selbst mit einer großen Auswahl an Texten in jede Veranstaltung, um sofort auf das Publikum reagieren zu können. So weit denken die Schüler der IGS Lütjenmoor allerdings noch lange nicht. Sie treten heute von 17 bis 19 Uhr in der Aula zu ihrem ersten Poetry Slam an und sind froh, wenn sie mit einer Geschichte gut ankommen. Der heiße Wettkampf der Nachwuchsautoren ist allerdings nicht öffentlich. „Das wollen wir den Schülern nicht zumuten“, sagt Lehrer Stefan Gimm. Ein exklusiver Kreis von Zuhörern kommt in den Genuss der Gedichte- und Geschichtenschlacht. Die Preise sind dem Ereignis angemessen: Die Gewinner können sich über Büchergutscheine freuen.
P.S. Zu dieser Veranstaltung erschien in der Norderstedter Zeitung noch eine Glosse.